Bekannt ist seit Jahren, dass Mitarbeiter von Banken in den Bundesministerien teilweise aushelfen und somit Einfluss auf die Exekutive und die Gesetzgebung nehmen. Der wissenschaftliche Bereich gilt dagegen immer noch als Gewähr neutraler Positionen, denn Universitäten werden durch den Staat bezahlt, Professoren sind in der Regel verbeamtet und das Grundgesetz schützt ausdrücklich die Freiheit der Wissenschaft.
Doch sieht man genauer hin, trifft man auch hier auf den Einfluss der Finanzdienstleister. Sie gründen eigene Institute, die nach außen als unabhängige Organisationen auftreten, intern aber in den Räumen des Finanzdienstleisters sitzen und durch die Mitarbeiter des Finanzdienstleisters gesteuert werden. Diese Institute bemühen sich wiederum teilweise um Forschungs- und Dienstleistungsaufträge des Staates und nehmen damit Einfluss auf die Politik.
Ein weiteres Mittel der Einflussnahme sind Stiftungsprofessuren, die auf die eigenen Bedürfnisse der Anbieter zugeschnitten sind und aus Perspektive der Anbieter an dem wissenschaftlichen Diskurs in der Gesellschaft teilnehmen.
Direkt oder über Verbände vergeben Finanzdienstleister auch Gutachtenaufträge, um zum Beispiel eine ihnen nicht genehme Meinung zu widerlegen oder zumindest in der Öffentlichkeit zu entkräften. Sie vergeben aber auch Gutachten, wenn die Aussicht, einen Prozess vor dem BGH zu verlieren, groß ist und ein wissenschaftlicher Artikel in einer Rechtszeitschrift hilfreich erscheint, der die Anbieterposition als dogmatisch geboten und die Verbraucherperspektive als abwegig bezeichnet. Die Bezahlung für einen einzigen derartigen wissenschaftlichen Artikel renommierter Wissenschaftler wird dabei vermutlich das derzeitige Jahresbudget der Zeitschrift Verbraucher und Recht für die Redaktionsarbeit um ein Vielfaches überschreiten.
Es ist daher attraktiv, als Wissenschaftler derartige Aufträge anzunehmen. Zeichnet sich mit dem ersten Entwurf des Gutachtens ab, dass das Ergebnis nicht im Sinne des Finanzdienstleisters ausfällt, kann man sich gesichtswahrend in dieser Phase trennen. Die Freiheit der Wissenschaft bleibt gewahrt. Das Interesse, ein anbieterfreundliches Gutachten zu schreiben, bleibt bestehen.
Teilweise werden wissenschaftliche Aufsätze auch durch den Syndicus einer Bank selbst geschrieben oder man findet bei den Aufsätzen den Hinweis, dass der Beitrag auf eine rechtsgutachterliche Anfrage der Praxis zurückgeht und kann damit den Beitrag von seiner Richtung und Entstehung her einschätzen. Oft fehlen aber derartige Hinweise, und man erfährt über die Entstehung der Artikel und die Hintergründe nur durch Zufall.
Selbst Richter sind nicht vor der Einflussnahme geschützt. In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung Ende 2011 weist der Verein gegen Rechtsmissbrauch e.V. auf die Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit „durch richterliche Nebentätigkeiten, zum Beispiel als Treuhänder für Banken und Versicherungen und als Leiter von betrieblichen Einigungsstellen“ hin.
Einfluss auf Richter lässt sich auch über hochbezahlte Vorträge nehmen, die durch die Anbieter direkt oder über Verlage finanziert werden und deren Veranstaltungen sich an den Interessen der Anbieter ausrichten. Wird dann der Vortrag noch als Manuskript hochpreisig angeboten, so liegt die Beeinflussung in der erwarteten weiteren Vermarktung. Auch Gutachten lassen sich mehrfach verwerten. Bei positivem Ausgang für die Anbieterseite können weitere Honorare für die Veröffentlichung und Veranstaltungen gezahlt werden.
Auch die mögliche Anschlusstätigkeit nach einem Berufsleben als Richter in Form eines Ombudsmanns, der in Deutschland nicht als unabhängige, staatliche Stelle organisiert ist, sondern eine Einrichtung der Anbieterverbände ist, kann zumindest theoretisch schon während der Tätigkeit als Richter Entscheidungen beeinflussen. Denn durch seine Entscheidungen als Richter wird man als Ombudsmann später durch die Anbieterverbände in Betracht gezogen – oder auch nicht.
Die Schlichtungsstellen selbst sind eine weitere Einflusszone der Finanzdienstleister. Die formal neutralen, bei den Anbieterverbänden eingerichteten Ombudsmänner, die in der Regel durch in der Praxis bewährte Richter besetzt werden, sollen Verbrauchern auf einer niedrigschwelligen Ebene bei Fällen mit eindeutiger Rechtslage zu ihrem Recht verhelfen. Leider ist die Erfahrung, die Verbraucherzentralen in den letzten Jahren mit Ombudsmännern gemacht haben, enttäuschend. Bei aktuellen Fragen wie Vorfälligkeitsentschädigungen bei Forward-Darlehen und Restschuldversicherungen in Verbindung mit Ratenkrediten helfen die Entscheidungen der Ombudsmänner durchweg nicht weiter. Die Ombudsmänner fühlen sich in der Regel nicht zuständig oder beziehen keine klare Position wie bei der Rückabwicklung von verbundenen Geschäften bei Widerruf, selbst wenn es eine Grundsatzentscheidung des BGH gibt.
Schlimmer noch aber ist eine Parteinahme der Ombudsmänner für den Anbieter, der für Verbraucher als Laien nicht erkennbar ist. Dies soll ein Fall erläutern, bei dem die Verbraucherzentrale Hamburg durch eine Stellungnahme im Vorfeld mit betreut wurde und der somit an die Öffentlichkeit gelangte. Der Schlichter des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes stellte zu der Frage, ab wann ein Anschlussdarlehen bei einem bereits an den Verbraucher ausgezahlten Immobiliardarlehen gem. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ordentlich kündbar ist, gegenüber dem Verbraucher lapidar fest: „Die Verbraucherzentrale Hamburg stellt auf den bloßen Wortlaut der genannten Vorschrift ab. Dem kann ich mich nicht anschließen. Der Zweck der Regelung besteht darin…“ Unter Juristen sollte die Auslegung eines Gesetzes nach dem Wortlaut immer noch eine sehr hohe Bedeutung haben. Den Wortlaut einfach zu übergehen ist schon an sich dreist. Dass der Schlichter aber auch noch die vorhandene kritische Literatur zu der Problematik gar nicht erwähnt und auch nicht auf die fehlende höchstrichterliche Rechtsprechung hinweist und somit eine Entscheidung eigentlich abzulehnen hätte, macht den Fall grundsätzlich problematisch. Das Fazit des Schlichters „Hiermit weise ich ihre Beschwerde als unbegründet zurück“ wird die Mehrheit der Verbraucher in derartigen Fällen entmutigen. Die fehlende Veröffentlichung von einzelnen Entscheidungen der Ombudsmänner führt dadurch zu einem Schattendasein „grauer Rechtsprechung“, die oft durch das Interesse der Anbieter und nicht das der Verbraucher bestimmt wird. Man kann Verbrauchern daher in der Regel kaum raten, Ombudsmänner anzurufen und muss sie zudem auf die mögliche Interessenkollision hinweisen.
Wie aber soll man mit der Einflussnahme der Anbieter auf Recht und Gesetz als Gesellschaft umgehen? Das Interesse der Anbieter, Einfluss auf Recht und Gesetz zu nehmen, ist nachvollziehbar und verständlich. Sie müssen die Gesetze in der Regel umsetzen und leiden als erste darunter, wenn Gesetze handwerklich unsauber formuliert sind oder die Umsetzung in der Praxis dadurch unnötigerweise erschwert wird. Die Anbieterseite hat auch ein legitimes Interesse daran, dass ihre Positionen im wissenschaftlichen Diskurs berücksichtigt werden.
Kann man diese mögliche bzw. tatsächlich stattfindende Einflussnahme den Ombudsmännern und Richtern, den Verlagen und Wissenschaftlern daher vorwerfen? Ich denke nein. Wir werden den Einfluss der Anbieterseite auf Recht und Gesetz auch nicht zurückdrehen können, aber wir können eine Kultur einfordern und etablieren, die die Einflussnahme sichtbar macht. Im medizinischen Bereich hat sich eingebürgert, vor einem wissenschaftlichen Vortrag zu zeigen, durch welche Unternehmen die Arbeit und man selbst finanziert wurde. Würde man auch im Rechtsbereich bei den Personen einfach erkennen, wer für Gutachten und Aufträge bezahlt hat, könnte man die Beiträge besser einschätzen, sowohl als Richter als auch als Rechtsanwalt, Laie oder Politiker.
Wir brauchen eine neue Kultur, in der nicht immer Unabhängigkeit behauptet, sondern stattdessen stattfindende Einflussnahme sichtbar gemacht wird. Einflussnahme an sich ist nicht vorwerfbar, sie muss nur transparent sein. So lässt sich auch über Einflussnahme offen diskutieren und bei negativen Auswirkungen gegensteuern. Wenn eine betroffene Bank einen wissenschaftlichen Artikel finanziert, sollten die Bank und die Finanzierung eindeutig erkennbar sein. Richter sollten ihre Nebeneinkünfte grundsätzlich mit Angabe der Herkunft offen legen müssen; die gesetzliche Regelung für Abgeordnete im Bundestag könnte hier als Vorbild dienen. Langfristig wird man damit möglicherweise zu tragfähigeren Lösungen kommen, als darüber zu streiten, wie unabhängig jemand wirklich ist.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Achim Tiffe